Vor genau 30 Jahren trat „NATURA 2000“ in Kraft; das EU-weite Naturschutzgesetz soll den Erhalt wildlebender Pflanzen- und Tierarten sowie ihrer natürlichen Lebensräume garantieren. Eigentlich. Trotzdem stehen auch Biotope mit diesem besonderen Schutzstatus immer noch unter Druck – auch direkt vor unserer Haustür. Zum Beispiel das ökologisch wertvolle Tunneltal, durch das nach Plänen der Bahn künftig eine hoch frequentierte Gütertrasse führen soll. Umweltschützer sorgen sich um die Zukunft des zu einem Teil in Hamburg, zum anderen in Schleswig-Holstein liegenden Naturschutzgebietes
Ob Sumpfveilchen, Große Königslibelle, Kammmolch oder Hochmoore – wildlebende Arten und naturnahe Landschaftsformen brauchen Gebiete, in denen sie vor menschlichen Nutzungen geschützt sind. Aus diesem Grund gibt es NATURA 2000, ein riesiges Netzwerk von Schutzgebieten, das sich über ganz Europa erstreckt. Seit 2010 gehört auch das in Ahrensburg und Hamburg-Meiendorf liegende Tunneltal als Flora-Fauna-Habitat zu diesem EU-weiten Verbund und genießt damit den höchsten Schutzstatus auf europäischer Ebene. So wichtig der Erhalt aller einzelnen lokalen Biotope auch ist – seine herausragende Bedeutung erfährt der Natur- und Artenschutz erst durch den Zusammenschluss der einzelnen Ökosysteme untereinander. Gerade unter diesem Gesichtspunkt kommt dem acht Kilometer langen, durch die Eiszeit geprägten Tunneltal eine tragende Rolle zu. „Die beiden zusammengehörenden Naturschutzgebiete ‚Stellmoorer Tunneltal’ auf Hamburger Seite und das in Schleswig-Holstein gelegene ‚Ahrensburger Tunneltal’ bilden einen wichtigen Trittstein an den ausfransenden Siedlungsrändern von Ahrensburg und den Hamburger Stadtteilen Rahlstedt und Meiendorf“, sagt der Evolutionsbiologe Prof. Dr. Matthias Glaubrecht. „Wie eine Insel stellt es die Verbindung zu anderen wichtigen Biotopen her und besitzt damit eine großräumige Bedeutung.“ Dieser wichtige Biotopverbund reicht von der Hahnheide bei Trittau, über die Ahrensburger Feldmark, das Naturschutzgebiet Höltigbaum , den Volksdorfer Wald, die Teichwiesen und Hainesch-Iland bis hin zur Hummelsbütteler Feldmark und dem Diekmoor in Langenhorn. Wild lebende Tiere können sich hier frei bewegen und großräumig wechseln.
Naturschutzorganisationen befürchten aktuell jedoch eine Zerstörung des ökologischen Kleinods Tunneltal und damit auch einen Riss im Biotopverbund. Die bereits heute durch das Flora-Fauna-Habitat (FHH) hindurchführende Regionalbahnstrecke soll von bisher zwei auf vier Gleise ausgebaut und dann zusätzlich für den transeuropäischen Güterverkehr Richtung Fehmarnbelt freigegeben werden. Dies würde nicht nur kilometerlangen Lärmschutzwänden führen, sondern auch zwei große Brückenbauwerke erfordern, die die bisherigen beschrankten Bahnübergänge ersetzen. „Flächen wie das Tunneltal besitzen heute Seltenheitswert. Besonders in Zeiten des Artenschwunds und der Klimaerwärmung kommt einer solchen geologischen Formation mit Offenland und Feuchtgebiet besondere Bedeutung zu“, sagt der Landschaftsökologe Micha Dudek. „Die geplante Zerschneidung der Landschaft wird das Stellmoor-Ahrensburger Tunneltal in seiner Wirkung als Korridor im übergeordneten Biotop-Verbundsystem vermutlich deutlich schwächen. Unser Land braucht aber solche Moore und Feuchtgebiete wie das Tunneltal. Ihnen kommt eine wachsende Bedeutung zu.“
Die erheblichen baulichen Eingriffe, wie die Bahn sie derzeit im Tunneltal plant, könnten auch dem Gesetz entgegenstehen. Schließlich heißt es im § 33 des Bundesnaturschutzgesetzes: „Alle Veränderungen und Störungen, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung eines Natura 2000-Gebiets in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen führen können, sind unzulässig.“
Um dennoch dem Güterverkehr auf der Schiene, der ja als klimafreundlichere Variante zum LKW gilt, die nötigen Entwicklungsmöglichkeiten zu geben, schlagen die Tunneltalschützer eine alternative Bahntrasse entlang der Autobahn A 1 vor. Bei Nutzung einer solchen Option, die auch für Streckenabschnitte in Ostholstein und südlich von Hamburg im Gespräch ist, könnte die übergeordnete Bedeutung des Ökosystems Stellmoor-Ahrensburger Tunneltal im Biotopverbund langfristig ebenso erhalten bleiben wie sein wertvoller Artenreichtum. Denn die Eindämmung des Artensterbens – so betonen es Wissenschaftler in diesen Tagen immer wieder – ist eine der zentralen Aufgaben des 21. Jahrhunderts: Es gehe dabei letzten Endes um nicht weniger als das Überleben der Menschheit.
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